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Steinformationen am Ustyurt-Plateau

Durch Russland nach Kasachstan

Am 4. Juni landet Eva morgens um 2:45 Uhr in Tiflis. Wir feiern ermattet unser Wiedersehen am Tifliser Meer und machen uns am nächsten Tag auf den Weg nach Kazbegi, dem letzten Ort auf der georgischen Heerstraße vor der russischen Grenze. Abends gibt's noch ein kleines Abschiedfest von der halbzivilisierten Welt mit den üblichen Begleitern, Kazbegi-Bier und Chacha im Restaurant, wir feiern in meinen Geburtstag rein und packen Evas Schrankkoffer aus. Das Sperrgut werde ich am nächsten Morgen auf dem Parkplatz unterhalb des Kazbegis ohne Probleme bei den georgischen Sammeltaxifahrern los.

Die Ausreise aus Georgien verläuft problemlos und ist nach einer halben Stunde erledigt. Dann reihen wir uns mit mulmigem Gefühl in die Auto-Schlange vor dem russischen Grenzbaum ein. Nach einer halben Stunde dürfen wir durch und werden in die LKW-Schlange umgeleitet. Eva hat unsere Visa in den Zweitpässen mitgebracht, sie werden geprüft und es wird viel telefoniert. Aber dann kommt der Stempel rein und wir dürfen weiter zum Zoll.

Hätten wir nur den Russischkurs mit mehr Ernsthaftigkeit und Ausdauer betrieben. Leider fällt selbst 'Strasvudzje' furchtbar schwer. Glücklicherweise gelingt die Kommunikation mit dem Zoll über den Grenzer mit den meisten Sternen auf den Schultern auf Englisch leidlich. Alle sind nett und freundlich. Zum ersten Mal darf ich auch die Ersatzteil-Boxen in Begleitung eines Inspekteurs auf dem Dach aufmachen. Ich fülle ein Papier in doppelter Ausfertigung aus und dann versagt die IT. Eben meinte der leitende Beamte noch 'one minute', aber dann kam nur noch Gebrüll aus dem Büro. Auch ein herbeigerufener ITler schmiss dann irgendwann die Maus des Rechners durch die Gegend. Mitwartende Georgier grinsten, 'Programma'. Wir bekamen unsere Unterlagen dann handschriftlich, es gab noch ein 'Happy Birthday', die Laufzettel wurden gestempelt und wir durften einreisen.

Die knapp 800 km wollen wir zügig hinter uns zu bringen, uns nicht mehr als notwendig auffällig verhalten, nicht tanken, nicht einkaufen, nichts anschauen. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen, die unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Das gelingt, und nach der Durchquerung von Nord-Ossetien, Wladikawkas, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan und Kalmückien (grusel, alles Namen negativer Nachrichten aus der Vergangenheit) erreichen wir die Grenze zu Kasachstan nahe Astrachan. Zwar gab es Kontrollen zwischen den einzelnen Oblasten, die waren aber nach wenigen Minuten erledigt.

Nach der Überquerung des Buzan, eines Mündungsflusses der Wolga per Ponton-Fähre, nächtigten wir das letzte Mal in Russland zwischen Pferden und tausenden von Mücken am Flussufer. An der Grenze lief alles ohne Probleme. Pässe wurden gestempelt und der Unimog kurz gecheckt. Anschließend wurden wir von zivilen Sicherheitsbeamten über den Grund unseres Aufenthalts und allerlei anderer Dinge befragt. Als ich meinen Zivildienst im Rahmen der Befragung erwähnte, ging alles ganz schnell. 'Pazifist' wurde ich genannt und war von keinem Interesse mehr. Eva hatte mehr zu schaffen mit ihrem Agenten; offensichtlich schien er Gefallen an ihr gefunden zu haben. Aber dann war der Weg frei, die Einreise nach Kasachstan war nur noch ein Spauz und wir fanden uns wieder auf der vermeintlich fürchterlichsten Straße unserer bisherigen Reise - der Golfplatzstraße nach Atyrau, knappe 300 km auf vernichtetem Teer mit Golfplatzlöchern im Zentimeterabstand.

Später gesellten sich noch reichlich Schlaglöcher dazu. Ich verliere die Nerven und wende die Wellblechstrategie an: entweder schleichen oder drüber rasen. Zeitweise fahren wir neben der Straße auf Pisten und fressen Staub, Staub, Staub. Nahe Zaburunye verbringen wir die Nacht am Ufer des Kaspischen Meeres. Nur das Meer war nicht da; der Wasserspiegel hat sich so weit abgesenkt, dass vor uns ein matschiger, bis zum Horizont reichender Strand lag. Zuvor vernahmen wir seltsame Geräusche und ich stellte an der frisch erneuerten Gummimanschette vom Schubrohr Öltropfen fest. Uaaaaaaaahh. Nicht schon wieder. Sollte der Dichtring etwa schon wieder defekt sein?

Dennoch erreichen wir, vom Zustand der Straße völlig gerädert, Atyrau. Kleine Stadtbesichtigung bei 38 ° C, Geld abheben, einkaufen, SIM-Karte und Kfz-Versicherung besorgen, essen und tanken. Dann nichts wie weg. Wir wollen ja nach Usbekistan. Vorher Mangyschlak, die kasachische Halbinsel am Kaspischen Meer. Dort soll es noch Wasser geben....

Es ist ein fürchterlicher Trip durch die kasachische Steppe, Hitze, immer nur Staub, Kamele, LKWs. In Beyneu tanken wir Wasser, nach dem Filtern stellen wir fest, dass es immer noch grünlich aussieht. Urgh. Der Plan für Mangyschlak entsteht an der Abzweigung zu einer Offroad-Piste zu Beket-Ata, einer Prediger-Höhle und islamische Pilgerstätte, von der es in dieser kargen Region mehrere gibt. 130 km Offroad durch den Staub, dann den Rundkurs Richtung Aktau und über andere Höhlen und Nekropolen zurück nach Beyneu. Los geht's.

Beket-Ata liegt am Ustyurt-Plateau 300 km östlich von Aktau. Hier hat der sufistische Prediger und Einsiedler Beket-Ata vier Höhlen in die Klippen des Plateaus gegraben; in einer davon wird seine Asche aufbewahrt. Es führt eine lange Treppe über mehrere Ebenen hinunter zu den Höhlen. Pilger schleppen sich bei sengender Hitze uns entgegen. Klar haben wir wieder das Wasser vergessen. Die Quelle unterwegs ist stark salzhaltig. So muss das sein. Da sehr viele Pilger da sind, halten wir uns respektvoll im Hintergrund, bewundern die Höhlen und den Willen des Einsiedlers an diesem unwirtlichen Ort.

Einige Kilometer weiter, nach unzähligen Fotosessions mit den aufgeschlossenen kasachischen Pilgern und einer Fahrt durch weißen Staubnebel finden wir zwischen vielfarbigen Gesteinsformationen einen tollen Übernachtungsplatz. Als der Unimog steht, bemerke ich seine starke Inkontinenz. Die Suche nach der Ursache offenbart ein fast ölleeres hinteres Differential. Die Karre tropft was das Zeug hält. Ich fülle auf und mir wird angesichts unseres abgelegenen Stellplatzes ganz schlecht. Also wieder der Wellendichtring hinten. Da muss bei der Reparatur irgendwo etwas schief gegangen sein. Na Mahlzeit.

Auf der 300 km langen Rückfahrt checke ich alle 100 km das Öl und schütte nach. Das Öl spritzt nur so aus der Manschette raus. Die sengende Hitze tut ihr Übriges dazu. Wir errechnen einen Ölbedarf von einem halben Liter auf 150 km. Ziel ist die Küstenstadt Aktau. Hoffentlich gibt's da ein Ersatzteil und einen Könner, der das repariert. Die Hinterachse muss gelöst werden, das Schubrohr vorne und hinten ab und der Dichtring im Schubrohr ersetzt werden. Alles muss mit Vorsicht passieren, da beim Einbau der neue Dichtring beschädigt werden kann. Bin skeptisch.

Unterwegs passieren wir Schopan-Ata, die Prediger-Höhlen des Lehres Beket-Atas, sowie die dazugehörende Nekropole. Ich vermute einen Zusammenhang zwischen karger, heißer Landschaft und Spiritualität.

Wir passieren die größten Ölfelder des Landes, quartieren uns in Aktau günstig ein und besänftigen uns erstmal mit einem Bierchen. Drei Typen stehen vor dem Unimog mit nem Jeep und empfehlen uns eine Werkstatt. Zage Hoffnung keimt auf. Am nächsten Tag fahren wir hin. Das Ersatzteil gibt es nicht, wir sehen von einer Reparatur ab und kaufen stattdessen 20 L Getriebeöl. So können wir das gute Unimog-Balsam-Öl sparen, das wir seit Beginn der Reise durch die Landschaft fahren.

Unsere anschließende Stadtbesichtigung durch die stark sovietisch anmutende Kulisse beruhigt uns und der Gang zum örtlichen Konditor wirkt Wunder. Die Menschen vieler verschiedener Kulturen machen die Stadt interessant und lebendig. Und kurz die Füße ins Kaspische Meer zu halten schaffen wir auch noch. Man kann Wasserschlangen dabei beobachten, wie sie kleine Fische verschlingen. Schnell weg. Neuer Plan: wir fahren die etwas über 2.000 km nach Taschkent in Usbekistan, lassen uns Ersatzteile dorthin liefern, checken alle 200 km das Öl und hoffen, dass unserer Kanister reicht und der Unimog keine weiteren Mätzchen macht. Unterwegs nehmen wir touristisch mit, was geht.

Damit die Reifen gleichmäßig abgefahren werden, lassen wir sie durchwechseln und gönnen dem geschundenen und von Staub bedeckten Unimog eine Wäsche. Zwischenhalte in Sherkala, an einem Steinkugelfeld und einem Salzssee sorgen für Kurzweil auf den ersten 300 km. In Beyneu treffen wir zwei junge Wienerinnen auf ihren Fahrrädern. Die wollen wie wir zum Pamir. Was eine verdammte Schnapsidee. Und größten Respekt!

Mit vollem Tank erreichen wir die Grenze zu Usbekistan. Alles läuft wie geschmiert. Wir haben einen Grenzer, der uns durch die Bürokratie leitet und knappe 2 Stunden später stehen wir, oh Wunder, auf der wohl fürchterlichsten Straße unserer gesamten Reise. Was ein Trümmerfeld von Mist, Schotter, Schlaglöchern, Furchen, ach egal, das Grauen. Selbstverständlich läuft über diese Zumutung auch der gesamte LKW-Verkehr von Kasachstan nach Usbekistan, sowie die privaten PKW mit den 2-Meter-Türmen Gepäck auf den Autodächern. Das wird spaßig. Wir reihen uns ein in die Schlange der Desillusionierten.

Fazit Russland: was wir gesehen haben, macht Lust auf mehr. Die Zeit scheint in den südlichen Regionen stehen geblieben zu sein. Einfachstes Leben, karge Behausungen, gemeinsame Feldarbeit. Teilweise fühlt man sich in die 60er Jahre zurückversetzt. Trotzdem hat zumindest in den Städten fast jeder das Smartphone in der Hand. Die Hoffnung bleibt, dass der Krieg ein Ende und Rußland zur Zivilisation findet.

Fazit Kasachstan bisher: auch ein riesiges Land, das fünftgrößte der Erde. Die Bedingungen sind lebensfeindlich, ein Zusammenhang mit dem Klimawandel scheint unübersehbar. Steppenwölfe werden wir bestimmt nicht, aber es gibt ja noch den Osten. Da kommen wir in ein paar Wochen hin, inschallah.